Alles über der Ukraine

Diplomaten lügen nicht, sie gehen nur ökonomisch mit der Wahrheit um, heißt es. Viktor Tschernomyrdin ist seit 2001 Diplomat von Amts wegen, nämlich Russlands Botschafter in der Ukraine. Und von Ökonomie versteht er zweifellos auch etwas: Vom Schlosser arbeitete er sich zum Direktor des Erdgaskombinats im heimatlichen Orenburg hoch, war Minister für Gasindustrie der UdSSR und erster Chef von Gazprom, bevor er sechs Jahre lang – unter Boris Jelzin – der russischen Regierung vorsaß.

Dennoch ging Viktor Stepanowitsch, inzwischen 70-jährig, weder diplomatisch noch ökonomisch mit der Wahrheit um, als er sich jüngst gegenüber der »Komsomolskaja Prawda« freimütig über die ukrainische Führung ausließ. Präsident Juschtschenko und Ministerpräsidentin Timoschenko kläfften einander wie die Hunde an, meinte er. Mit solchen Leuten könne man nicht verhandeln »Kommen andere Leute, schauen wir mal. Es kommen auf jeden Fall nüchterne, normale.« Speziell widmete er sich Viktor Juschtschenko: »Äußerlich wirkt der Kerl ganz normal.« Aber er könne »drei Stunden lang um irgendeinen Baumstumpf herumgehen, ihn von allen Seiten betrachten und sich was zurechtfantasieren ...«

Außenminister Wladimir Ogrysko, ein Juschtschenko-Mann, lud Tschernomyrdin am Dienstag vor und drohte ihn zur »unerwünschten Person« zu erklären, falls er sich noch einmal derart »unfreundlich und undiplomatisch« äußere. Das Echo aus Moskau wurde am Mittwoch bekannt: Eine Ausweisung des Botschafters würde nicht ohne »entsprechende Antwort« bleiben. Denn der habe sich nicht in ukrainische Angelegenheiten eingemischt, sondern lediglich – »vielleicht ein bisschen grob« – eine ehrliche Einschätzung der Situation gegeben, wurde ein Mitarbeiter des russischen Außenministeriums zitiert.